Freitag, 3. November 2006
Der Pimpernickel
Mein Kater, Herr H. aus H. am N., der ob seiner regionalen Bekanntheit in diversen Tierkliniken lieber anonym bleiben möchte und deshalb im Folgenden nur mit seinem Spitznamen "Plüsch" genannt werden will, ist krank.
Seit 4 Wochen weiss ich, daß er an einer chronischen Niereninsuffizienz (CNI) leidet.
Seitdem geht's IHM besser und MIR schlechter.
Weil MICH die Diagnose umgehauen hat und ER von den Vorzügen der Behandlung profitiert.
Er muß jetzt fürderhin eine Nierendiät machen.
ER findet's nicht schlimm - es gibt eine ganze Palette proteinarmer Katzenfutter, die die Niere entlasten, und er frißt sich gerade probeweise durch eben jene Produktpalette. Mit mehr oder weniger sichtlichem Genuß. Je nach Hersteller und Geschmacksrichtung des Futters.
Er wird jetzt getrennt von seiner Mitbewohnerin, Frau F. aus T., gefüttert, was ihm großen Spaß macht, da dieser kleine, verfressene, weibliche Unruhegeist sich in der Vergangenheit schon immer mal über seinen Napf hermachte, und da Frau F. jetzt ein eigenes Esszimmer hat, kann er in Ruhe und mit Muße speisen. Und sein Leibgericht, die Enden frischer Croissants vom Bäcker, darf er sonntags weiterhin fressen; unter der Woche auch ein paar Schupfnudeln oder Spaghetti. Ist also alles paletti.

Beim Plüsch ist alles anders:
Las ich neulich noch kopfschüttelnd, daß Katzen nur abgestandes Wasser saufen, erstaunte er mich 10 Minuten später, als er, den Wassernapf verschmähend, in die Spüle sprang, um Wasser direkt aus dem Hahn zu trinken. Aber nicht so kalt, bitte.
Plüsch ist 15, das entspricht in etwa einem Menschenalter von 75 Jahren, und alte Leute wollen ihr Bier ja auch gerne mal lauwarm, das haut nicht so auf den Magen.

Der Plüsch braucht auch einen Doc, der Hausbesuche macht. Er fährt nämlich nicht gern Auto. Also er fährt schon gerne Auto, aber er weigert sich, in dieser Idiotenbox zu sitzen, was sich darin äußert, daß er so lange gegen das Gitter der Transportbox bollert, bis sein ganzes Gesicht blutig ist. Läßt man ihn aber aus dem Käfig, ist ER zwar gut zufrieden, stiefelt aber überall im Auto umher. Das ist nicht sehr verkehrssicher, wenn er gerade meint, sich mal vor's Bremspedal setzen zu müssen und man dieses dann (weil versperrt) nicht mehr betätigen kann. Man braucht also für solch einen Transport immer einen Fahrer und einen Katzenbändiger, der Plüschs Bewegungen in die richtige Richtung dirigiert. Insofern stellt eine Fahrt zum Tierarzt beim Plüsch einen erhöhten personellen Aufwand dar.

Das schilderte ich natürlich auch dem Tierarzt, als ich ihn im Februar zum Impfen nach Hause beorderte. Der Tierarzt impfte Herrn H. und Frau F. und hörte sich meine Geschichte skeptisch an, während sein Blick "arme Irre" sagte. Sein Mund sagte: "Das ist für Katzen aber eher ungewöhnlich."

Sei's drum.
Jetzt, im Oktober, durfte eben jener Doc Herrn H.s Nieren behandeln. Die waren entzündet und der Plüsch um Jahrzehnte gealtert. Überhaupt nicht fidel, kein Appetit, abgemagert.
Wir bekamen Antibiotika, dann stellte sich heraus, daß der Plüsch einen Zahn hat, der von der Wurzel her fault. Da mußten wir dann doch in die Klinik, der Zahn kam raus und der Kiefer wurde genäht. Die Fäden seien zwar selbstauflösend, aber "Katzen kratzen sich schon nach Tagen überall wund, weil sie die Fäden völlig närrisch machen." Wir könnten aber frühestens in 10 Tagen zum Fädenziehen kommen.
"Ach," sag' ich, "dann lassen wir die Fäden einfach drin."
Wieder dieser Blick.
"Das tolerieren Katzen aber nicht, die müssen wir dann schon ziehen. Und übermorgen kommen, zur Kontrolle der Wunde im Maul!",
"Ach, könnten SIE nicht...?? Er läßt sich so schlecht transportieren..."
Und richtig: Wieder der "arme Irre"-Blick.
"Na gut", er kommt am Freitag. "bis dahin bitte jeden Tag diese Antibiotikapampe verabreichen."
Ich: "Und wie?"
Der Doc: "Der Katze mit dem Finger unter das Kinn fahren und das Kinn himmelwärts richten. Dann macht die von selbst das Maul auf, dann die Pampe rein, Kinn weiter hochhalten, dann kommt ein Schluckreflex, ist ganz einfach."
Ich: "Soviel zur Theorie - und in der Praxis?!"
Der Doc:"Neinneinnein - das ist gannnnz einfach!"
Und zum Abschluß wieder der "arme Irre"-Blick...

Am Freitag, kurz nach 8 Uhr früh, ich fahr' gerade aus dem Haus, kommt er mir mit dem Auto entgegen gefahren. Der Ungatte (das ist der männliche Zweifuß vom Plüsch) hatte Spätschicht, weilte also des morgens zu Hause, war instruiert. Und ich denk' noch: Zu ZWEIT ist das ja auch alles kein Problem, vor allem wenn einer von beiden Tierarzt ist...

Als ich um 12 Uhr wieder kam, erwartete mich der Ungatte. Eine halbe Stunde haben sie 'rumgemacht dem Plüsch zu zweit die Pampe zu verabreichen. Der sprang nämlich, seines behandelnden Arztes angesichtig, gleich mal auf den höchsten Schrank. Was der Doc nicht wußte, ist, daß man sich ihm dann besser nicht nähert, sonst bekommt man eine gebohnert. Naja, JETZT weiß er's...
In seiner Eile entschied er sich, ihm eine Antibiotika-Spritze für diesen Tag zu geben, die hatte er aber nicht dabei. Also er und der Ungatte immer hinter dem Plüsch her. Als ich um kurz nach 12 in das Zimmer kam, war auf jedem Möbelstück weiße Antibiotikapampe. Der Ungatte berichtete, daß der Doc schon weniger mitleidig geguckt habe, stattdessen geäußert hätte "der Plüsch sei dann doch ein etwas schwierigerer Fall...". Am Ende hat er ihm die Pampe auf alle vier Pfoten verteilt, mit der Bemerkung:"Das schleckt er dann ab." Hat er auch, aber erst am Montag...
Nun hat er die Fäden seit 3 Wochen und noch nicht einmal gekratzt.

Und er hüpft und springt und nimmt wieder zu und pinkelt dem Nachbarn in die penibel gepflegte Thujahecke und hat lauter Unsinn im Sinn >freufreufreu<

Mittleweile zeigt er aber auch sonstige Verjüngungserscheinungen.
Da er ja jetzt "krank" ist, hat er natürlich Narrenfreiheit. Also liegt er jeden Abend auf der großen Couch, sieht ein bisschen fern oder guckt ins Kaminfeuer. Auf der Couch liegt eine karrierte Kuscheldecke - so eine, für die mal 100 Polyester gestorben sind. Seit dem zweiten Abend nach seiner Zahn-OP wird diese Decke nun allbendlich begattet.

Das ist vielleicht nicht ungewöhnlich, aber der Plüsch wurde vor 14 Jahren kastriert. Da 14 Jahre eine lange Zeit sind, hat das der Plüsch das aber mittlerweile vergessen. Und so begatte er eben jeden abend 45 Minuten lang die Decke.
Ich dachte, daß die vielleicht komisch riecht und hab' sie in die Waschmaschine gesteckt.
Seiher begattet er sie jeden abend ZWEI mal.

Der Katze ist das sehr suspekt, sie meidet, angesicht solch exhibitionistischen Verhaltens ihres Mitbewohners, seither konsequent das Wohnzimmer.

Vor drei Tagen war sie nun selbst in dieser Klinik, aber nur zum Zahnstein-Entfernen.
Als ich sie abholte, war "der Doc" selbst nicht da. Dafür aber eine mir bisher unbekannte, nette Tierärztin. Da hab' ich gedacht, ich frag' einfach mal.

Ich:" Entschuldigung, diese CNI von meinem Kater, hat die irgendwie einen gesteigerten Sexualtrieb als Begleiterscheinung?"
Sie:"Wie???"
Ich ihr den Sachverhalt geschildert.
Sie: "Naja, ist halt ein Mann - - - Moment...der ROTE Kater von neulich??? Aber der ist doch kastriert! Nein, da haben Sie sich verguckt, KASTRIERTE KATER TUN SOWAS NICHT!"
Und wieder der "arme-Irre"-Blick.
Ich wollte dann noch wissen, ob der gute Plüsch bei diesem Rumgesexe vielleicht einen Herzinfarkt erleiden könne, sie sah mich noch mitleidiger an, und sagte "neinneinnein."

Aber gestern habe ich ihn sicherheitshalber dann doch nach einer Stunde in seinem Treiben unterbrochen, sein Herz hat wie wild gehämmert und er fiel auch gleich danach in einen geradezu komatösen Schlaf.

Was lernen wir daraus?
1.) Manche alten Leute mögen lieber frische, dafür aber lauwarme Getränke.
2.) Katzen mögen keine Croissants, Schupfnudeln und Spaghetti - die rote Pelzperson, die sich auf meinem Ceranfeld in der Küche über den Nudeltopf hermacht, ist eine Illusion,
die Brötchentüte mit den Croissants hat der Wind unter den Tisch geweht und die Bäckereifachverkäuferin hat sie an der Unterseite mit ihren lackierten Nägeln aufgerissen.
3.) Katzen in Transportboxen verhalten sich ängstlich und still.
4.) Antibiotikapampe an meinen Möbeln ist eine Fata Morgana, weil man das Zeug Katzen ganz leicht verabreichen kann.
5.) Selbstauflösende Fäden im Maul einer Katze müssen spätestens nach 10 Tagen gezogen werde, weil Katzen diese nicht tolerieren.
6.) Kastrierte Kater begatten keine Kuscheldecken.


Und daraus ziehe ich folgenden Schluß:
Ebenso wie 75jährige Männer kommen 75jährige Kater ungeachtet ihrer real (nicht-)existierenden Potenz nochmal sexuell richtig in Schwung und benehmen sich, der Torheit des Alters sei dank, wie liebestolle Teenager. Weil es ihnen piepegal ist, was die Welt davon hält.
Ich gewöhne mich langsam an den "arme-Irre"-Blick approbierter und selbsternannter Katzenexperten, genieße das Leben meines Plüschs und bremse ihn lediglich, bevor er einen Herzkasper bekommt. Soll er doch.

Der Plüsch aber, bisher vom Ungatten liebevoll "Raddegiggl" (das ist ein regionaler Ausdruck, der soviel wie "Spitzbube", "Schelm" oder "abgerissene Person" bedeutet) genannt, heißt jetzt nur noch "Pimpernickel".

Wahrscheinlich hat der Ungatte auch was an den Augen - auch WIR werden schließlich nicht jünger...

Schmeils Tierkunde
... guten Rat geben

 
Willkommen...
... in der Bloggerwelt ;-))
Schön, hier diese Art von Artikeln zu lesen. Mag ich ungemein, und "aus H. am N." ist gleichzusetzen mit einer mir wohnortnahen Gegend...?

Liebe Grüße
Suse, heute umtriebig

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Danke, ebenfalls...
... willkommen auf meinem literarischen Komposthaufen!!!

Und Danke für den link zum mir auf Deinem blog - ich habe noch nicht herausgefunden, wie ich eine Linkliste einfüge...

Ja, also "direkte Nähe" würd' ich mal nicht sagen - wobei: Was sind Entfernungen denn noch, im Zeitalter der Globalisierung? ;-)

Also am selben N., an dem ein Dir nahegelegenes schwäbisches H. liegt, liegt noch ein weiteres, kurpfälzisches (also in diesem Falle BADISCHES) H., und aus letzterem H. stammt Herr H., während Frau F. aus T. stammt, von dem ich nichtmal genau weiß, wo es liegt oder an was es liegt, ich habe das lediglich den Ausweispapieren der Dame entnommen.

In diesem Sinne (es bleibt ja im Ländle), Gruß nach da drunten!

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was haben sie eigentlich die letzten 207 tage mit diesem blogdings gemacht ;o)

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Liebe Nase,...
... ja, was denn wohl?

Bekanntlich muß KOMPOST ausgiebig ruhen, damit mal ein erfolgreicher Nährboden daraus wird.

Ich warf also einen verbalen Gemüserest hier, ein paar literarische Küchenabfälle da, auf meinen Haufen und schaltete ihn - offline.

Was lange gärt, wird endlich gut: Voilà - präschdiges Unkrautbeet!

Noch Fragen?

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nein nein, es gährte ja gut...

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Herrlich. Ein Tag, der mit einer solchen Geschichte beginnt, kann ja nur gut werden *breit grinsend unter die Dusche hüpf*

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